"Génération Mitterand" - die 80er in Frankreich

Ob der wilde Süden oder der kühle Norden, hier trifft man sich zwischen den großen Treffen
bubu
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@ Babooshka

Danke für die ausführlichen Schilderungen. Mich würde noch folgendes interessieren: Nicht zuletzt "La Boum" hat – jedenfalls für mich damals – das Klischee verfestigt, dass französische Jugendliche, insbesondere Mädels, immer als sehr frühreif und körperlich galten. Wie hast Du das erlebt? Oder vielleicht generell: Wie offenherzig war die Jugend seinerzeit in Frankreich, und gab es da Deiner Wahrnehmung nach Unterschiede zu Deutschland? Dass französische Jugendliche ja sehr viel Zeit in der Schule – und damit gemeinsam – verbringen, legt den Schluss nah, dass sich die Geschlechter möglicherweise näher waren (und sind)...
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Babooshka
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Was das angeht, so unterschieden sich französische Jugendliche nicht von deutschen. Ich empfand Vic in La Boum auch nicht als frühreif; als ich 13 und in der 7. Klasse war, lief es bei uns nicht anders wie auf den boums im Film und auch die erste Verliebtheit gestaltete sich ähnlich. Ich sag's ja immer, wir Siebtklässler tanzten hingebungsvoll eng auf Je t'aime moi non plus; ich glaube, DAS hätten die gleichaltrigen Franzosen gar nicht gebracht. Nicht zu so einem erotischen Lied. Auch nicht, wenn es in englischer statt in französischer Sprache gewesen wäre :) Auch 15/16-jährige Mädchen mit möglicherweise etwas älterem Freund, so wie Vic in La Boum 2, gab es bei uns. Was allerdings zutrifft, ist, dass französische Mädchen im Allgemeinen mehr auf Mode und Make-Up achteten als wir deutschen Mädchen im selben Alter. In der Klasse meiner Corres in Bordeaux, wir waren so um die 16/17 Jahre alt, liefen die meisten Mädchen sehr aus dem Ei gepellt rum, mit Bundfaltenhosen, Perlonstrümpfen und Pumps, mitunter sogar im Kostümchen. Das war schon nicht mehr das, was bei uns als Popper bekannt war, das war fast schon ein Business-Outfit. Meine Corres war eher die Ausnahme, sie trug meistens sehr weite Karottenhosen und sehr weite Schlabberpullis. Ich habe auch 13-jährige Französinnen kennen gelernt, die auf stets sorgfältig lackierte Fingernägel achteten. Die gleichaltrigen Deutschen experimentierten lieber mit kunterbunten Nägeln und wenn mal wo was abblätterte, wurde dem nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt :) Abgesehen davon gab's natürlich viele deutsche Mädels, die auch tausend Kosmetika besaßen und verwendeten. Aber Business-Outfit trug wohl kaum eine 16-Jährige.

Ich arbeitete ja auch im deutsch-französischen Schüleraustausch, d. h. ich brachte französische Jugendliche in deutschen Familien unter (ich selber hatte auch immer mal welche zu Gast) und da bekam ich auch allerhand mit, wie die so drauf waren. In den allermeisten Fällen lief es prima. Es gab aber auch hin und wieder echte Zicken unter den Mädchen und Querschläger unter den Jungen, und dann gab es auch noch die, die ziemlich verschüchtert waren und da wusste man: Die kamen meistens aus einer reichen/standesbewussten/sehr konservativen Familie und wurden dementsprechend streng erzogen - fast schon in der Art, dass sie ihre Eltern siezten. Die mussten in der deutschen Familie dann erstmal auftauen und sich daran gewöhnen, dass es darin lockerer zuging. Oft war es auch so, dass ein Mädchen Papas verwöhnter Liebling war, als sie klein war, aber als sie dann Teenagerin wurde, wurde Papa plötzlich sehr streng zu ihr, daher kam dann womöglich die Zickigkeit oder Rebellion. Solche Jugendlichen habe ich in Deutschland nur selten bis gar nicht kennen gelernt. Aber eine derartige Oberschicht, die in Frankreich dann den Politiker- und Industriellennachwuchs hervorbringt, gibt es bei uns in der Form auch nicht. Ich habe ein paar französische Jugendliche, meistens Mädchen, erlebt, die in Berlin echt auf die Kacke gehauen haben. Was natürlich mächtig problematisch war, wenn sie minderjährig waren. Ich hatte selber mal so ein Mädchen in der Familie; ihre Schwester (ein Jahr jünger, hatte sich aber als 18-Jährige verkauft) war ebenfalls in Berlin und die beiden hatten gar nicht vor, groß was mit ihren Gastfamilien zu machen oder gar ihr Deutsch zu verbessern, die wollten um die Häuser ziehen. Andersrum habe ich aber nie gehört, dass Deutsche, die in französische Familien gefahren sind, derartige "Ausbruchsversuche" unternommen hätten. Ich glaube also, dass viele Franzosen in den 80-ern sehr viel strenger erzogen wurden als wir Deutschen.
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waschbaer
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Ich war 1985 zum ersten Mal auf einem Jugendaustausch in Frankreich. Meine Beobachtungen decken sich mit dem, was Babooshka geschrieben hat. Die französischen Mädels waren deutlich "damenhafter" (mir fällt kein blöderer Ausdruck ein), als die Mädels, die wir im Gepäck hatten und nicht wenige von uns haben sich nur schweren Herzens wieder auf die Rückreise gemacht.

Eine Reise Ende der 80er Jahre nach Paris habe ich in besonders guter Erinnerung. Juli 1989, mein damals bester Kumpel (leider habe ich den Kontakt zu ihm weitestgehend verloren) kommt an einem Freitag Abend zu mir rüber und meinte, ob wir nicht irgendwas miteinander unternehmen wollen. Kino in Augsburg? Discobesuch irgendwo in der Gegend um Augsburg?
Ich meinte, dass in Paris gerade zweihundert Jahre Revolution gefeiert wird. Er zu mir: "Moment, gib mir zehn Minuten und ich bin wieder da". Er packte ratzfatz eine Tasche und ca. 30 Minuten später fuhren wir los. Ich habe das verlängerte Wochenende in Paris in mehr als nur guter Erinnerung. Besonders die Architektur des damals "Modernen Triumpfbogen" in La Defense in Paris hat mich damals mehr als nur beeindruckt.
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Babooshka
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"Damenhaft" ist ein durchaus treffender Ausdruck. Wie gesagt, es gab auch die Jeans-und-Turnschuh-Trägerinnen, die sich abgesehen vom Adidas-Turnschuhmodell klamottenmäßig kaum von den deutschen Mädchen unterschieden. Aber es gab weitaus mehr damenhaft gekleidete junge Französinnen als junge Deutsche. Bei den Deutschen beschränkte sich das zumeist auf die Popperinnen. Aber auch die französischen Jungen achteten mehr auf ihre Kleidung als die deutschen. Zwar kam keiner im Anzug zur Schule, aber sie trugen gerne solche Sachen, die bei uns die Popperjungen trugen, wobei es aber nicht unbedingt wichtig war, dass ein Krokodil auf dem Pulli prangte :) Diese Dauerwellen-Oliba-Schlabberlederjacke-Hochwasserhosen-Jünglinge, die es bei uns gab, sah man in Frankreich nicht. Allenfalls originell z. B. mit Schottenkarohose und Hosenträgern und dazu Creepers waren sie gekleidet.
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