Vermissen wir die 80er oder nur unsere Teeniezeit (oder beides)?

Ob der wilde Süden oder der kühle Norden, hier trifft man sich zwischen den großen Treffen
bubu
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[QUOTE=Die Luftgitarre;289246]Stichwort Individualismus: In den 80ern gab es klar abgrenzbare Jugendszenen mit jeweils eigenem Dresscode! Ironischer Weise traten auch die Popper, die sich ausdrücklich von Kollektivismus der Ökos und der Punks abgrenzen wollten, selber als Kollektiv, als Szene auf, eben "die Popper".[/QUOTE]

Das ist richtig, aber der Grundimpuls zumindest war anfangs ein anderer, nämlich die Nachbeben des Punk. Renner betonte in der Doku auch das Spiel zwischen Form und Inhalt als dominantes Element der 80er. Die Form, also das äußere Auftreten, der immer wieder gern betonte starke Materialismus der 80er, war anfangs eine politische Botschaft – sie wurde dann nur zunehmend entleert, auch infolge der Re-Aktion (Reagan, Thatcher, Kohl – Stichwort "geistig-moralische Wende"). Die 80er waren politisch ja außerordentlich konservativ.

Kurzum: Ich denke, es war diese Betonung der Form, die ihre Faszination ausübte (und noch immer ausübt). Ganz besonders muss das auf junge Menschen gewirkt haben, die – egal in welcher Dekade sie groß werden – ja in der Pubertät ohnehin den starken Drang nach Abgrenzung (vom Elternhaus) und nach Ich-Findung haben. Nimm noch die ganzen technischen Revolutionen und Spielereien hinzu, für die Jugendliche ja auch anfällig sind, und man kann meiner Meinung nach diese Stärke des Jahrzehnt erklären. So gesehen waren die 80er das Jahrzehnt der Pubertät und haben möglicherweise deshalb in unserer Erinnerung die Empfindungen unserer Teenie-Zeit zusätzlich verstärkt.
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PostMortem
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[QUOTE=Dr. Peter Venkman;289252]Die 80er waren politisch ja außerordentlich konservativ.
[...]
Ganz besonders muss das auf junge Menschen gewirkt haben, die – egal in welcher Dekade sie groß werden – ja in der Pubertät ohnehin den starken Drang nach Abgrenzung (vom Elternhaus) und nach Ich-Findung haben. [/QUOTE]

Und das hat sich nichtmal auf die Jugendbewegungen beschränkt. Die konservativen Regierungen der 1980er (Schmidt zähle ich persönlich dazu, er hat konservativste Positionen vertreten und durchgesetzt, an denen sich die Menschen damals rieben) führten fast automatisch zu einer offen ablehnenden Haltung unter vielen nicht-konservativen im Volk. Es war den Leuten wichtig sich abzugrenzen und einen Gegenpol zu bilden. Protest und Ablehnung waren wichtig - optisch, verbal, egal wie. Die letzten Kohl-Jahre mit seinem Geschenkeverteiler Blüm waren in meinen Augen eigentlich sozialdemokratisch.

1998 bis 2005 hatten wir eine nicht konservative Regierung und die zunehmende Zahl sozialdemokratischer Landesregierungen hatte diesbezüglich langsam aber sicher eine andere Wahrnehmung der Regierenden bewirkt. Ein zigfach geschiedener Junge aus dem Prekariat und ein ehem. Steinewerfer führten die Geschicke unseres Landes. Grüne in einer Bundesregierung! Obwohl das gleichzeitig zu fatalen Unterwerfungsgesten gegenüber der Wirtschaft führte (Schröder hat seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber "der Elite" m. E. bis heute nicht wirklich überwunden) und spätestens in der zweiten Regierungszeit fast nur noch neoliberalem Zeitgeist folgte, war es in der Wahrnehmung alles andere als eine konservative Regierung. Dementsprechend war diese Zeit hinsichtlich Jugend- und Protestbewegungen doch eine der unspektakulärsten, langweiligsten, ungenauesten und beliebigsten die es vielleicht je in der Bundesrepublik gegeben hat. Schon während meiner Ausbildung Anfang/Mitte der 1990er, zu Zeiten der sozialdemokratischsten CDU, die es jemals gab, als es sichere Renten, Pflegeversicherungen, Abrüstung und Wiedervereinigungsboom gab, machten wir es uns in unserer Republik doch echt gemütlich und es wurde ziemlich beliebig und angepasst auf den Straßen. Auch Musik war nicht mehr politisch, kaum noch sozialkritisch.

2005 kam Merkel, sehr viele Landesregierungen wurden schwarz. Was erleben wir seitdem? Protest, Wutbürger, immer bunter und abgedrehter rumlaufende junge Menschen. Alternatives sprießt überall aus dem Boden. Junge Menschen sind nicht mehr nur gepierct und tätowiert. Es laufen heute überall kleine Manga-Mädchen durch die Gegend (manche davon sind auch Jungs), während bis dahin im Kontrast zu den bunten 1980ern alles ziemlich angepasst und gediegen war. Es gibt wieder sichtbare Subkulturen und Massenproteste. M. E. gibt es das so deutlich spürbar erst, seit das Pendel über die Regierungsbanken im Land wieder zurück zum Konservativen schwang.

Machen konservative Politiker Zeiten erst interessant? Nehmen wir US-Präsident Obama. Er könnte unkonservativer kaum sein, ohne in den USA sofort aus dem Amt gejagt zu werden. Er interessiert hier doch nach seinem kurzen Kandidaten-Hype eigentlich kaum einen. An Bush jr. haben wir uns (fast) alle gerieben, jeder hatte eine Meinung und viele fanden seine Politik und sein pseudo-christliches Geschwafel als Rechtfertigung für Regierungspolitik unmöglich. Konservative Politik scheint immer ein Turbo für die Vielfalt und Positionierung (in) der Gesellschaft zu sein.

Aber was heisst das dann? Waren die 1980er so gesehen doch nicht besonders, sondern einfach ein zwangsläufiges Produkt politisch konservativer Zeiten diesseits und jenseits des Atlantiks?
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bubu
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[QUOTE=PostMortem;289253]Machen konservative Politiker Zeiten erst interessant?
...
Aber was heisst das dann? Waren die 1980er so gesehen doch nicht besonders, sondern einfach ein zwangsläufiges Produkt politisch konservativer Zeiten diesseits und jenseits des Atlantiks?[/QUOTE]

Natürlich – denn Kunst und (Sub)Kultur sind notwendige Ventile für Menschen, die Konservatismus einengen will. Bin kein Soziologe, aber die These, dass autoritäre Regime der beste Nährboden für das Sprießen von Subkulturen ist, scheint mir geschichtlich relativ gut belegt. Aber das weiß Luftgitarre sicher... ;)

Ob das die 80er abwertet, weil sie einem offensichtlichen Automatismus folgten? Warum? Es macht doch all die Neuerungen nicht weniger innovativ und einflussreich.
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Lutz
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Klar verklärt man vieles, aber die 80s waren IMO vom Zeitgeist her schon was ganz besonderes. Ich möchte nicht mehr Teenie sein, aber bin sehr froh z.B. meinen Sommer 1983 so erlebt zu haben.... Was für eine Zeit! *schwärm* :cool:

Dass nicht nur verklärt wird, merke ich z.B. an den boooring 90s - die sind im Rückspiegel nicht auch einmal ne super Zeit geworden. Sch*** bleibt Sch*** :zahn:


Lutz
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Die Luftgitarre
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[QUOTE=PostMortem;289253] Die konservativen Regierungen der 1980er (Schmidt zähle ich persönlich dazu, er hat konservativste Positionen vertreten und durchgesetzt, an denen sich die Menschen damals rieben) führten fast automatisch zu einer offen ablehnenden Haltung unter vielen nicht-konservativen im Volk. Es war den Leuten wichtig sich abzugrenzen und einen Gegenpol zu bilden. Protest und Ablehnung waren wichtig - optisch, verbal, egal wie. Die letzten Kohl-Jahre mit seinem Geschenkeverteiler Blüm waren in meinen Augen eigentlich sozialdemokratisch.[/QUOTE]

Es stimmt wohl, dass die Regierung Kohl damals als konservativer wahrgenommen wurde als sie tatsächlich war (der Vergleich mit Thatcher und Raegan hinkte, richtig fiese Veränderungen in der Wirtschafts-, Sozial- und Innenpolitik kamen real erst später, v. a. unter Schröder!) und dass sich an ihr und an dem Lieblingsfeindbild "die Popper" (verstanden auch als Sichtbarwerden der Jungen Union) viele Jugendliche wunderbar reiben konnten: Punks, Ökos, Grufties, Metall-Fans u. a.

Sowohl das Konservativ-sein als auch das Dagegen-sein war in den 80ern viel leichter als heute.
- Um als konservativ zu gelten reichte es, sich eine Krawatte umzubinden, sich einen Seitenscheitel zu kämmen und auf dem Pausenhof damit zu kokettieren, dass man am Wochenende mal bei einer Junge-Union-Party war; echten, praktisch umgesetzen Konservativismus im Sinne von mehr Schulstress, frühzeitigem Bangen um einen Ausbildungsplatz und drakonischen Strafen im Falle jugendlichen Über-die-Stränge-schlagens musste man als Folge eines konservativ gewendeten Zeitgeist dabei nicht befürchten.
- Und zum Dagegen-sein reichte es, diesen oder jenen Protest-Look zu tragen und beim Abblick eines Poppers oder Yuppies verächtlich zu grinsen. Provozieren war noch ganz einfach, politisch aktiv brauchte man gar nicht sein. Und selbst wenn man es war, wußte man dabei einen relevanten Teil der öffentlichen Meinung aus seiner Seite und brauchte auch keine persönlichen Konsequenzen befürchten. (Das war in den 90ern schon anders, als im von Massenarbeitslosigkeit betroffenen Ostdeutschland viele explizit deshalb IG-Metall-Kundgebungen fernblieben, weil sie befürchteten, ihre Chefs könnte sie im Fersehen wiedererkennen.)

Kurz: Sowohl Konservativ-sein als auch Dagegen-sein war in den 80ern eher eine Frage des Stils, des Provozierens und des Kokettierens - das insgesamt gemütliche Alltagsleben blieb davon weitgehend unberührt.Der Kern des 80er-Lebensgefühls scheint mir wirklich szeneübergreifend eine (relative) Sorglosigkeit der Durchschnittsbevölkerung in alltagspraktischen Fragen gewesen sein. Egal ob man sich nun als Grüner vor dem III. Weltkrieg oder dem Waldsterben fürchtete oder als Konservativer wegen satanistischer Botschaften in Heavy-Metall-Songs oder wegen der kommunistischen Unterwanderung der Schulen aufregte ... das war alles eher theoretisch und weit weg, das hielt einen nicht davon ab, sich abends mit Freunden zu treffen, Spaß zu haben oder im Kaufhaus ausgiebig Videorecorder, Stereoanlagen ect. zu vergleichen oder auf Sofas probe zu liegen usw.
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Die Luftgitarre
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[QUOTE=PostMortem;289244] Man konnte Musik von vor 1980 relativ einfach anhand ihrer Qualität zuordnen. "Oldies" waren klar identifizierbar und wurden deshalb auch schnell welche. Die Qualität vieler Aufnahmen der 1980er ist so gut, dass man sie technisch von vielem was heute produziert wird kaum unterscheiden kann [/QUOTE]


Sehe ich auch so, auch aus heutiger Sicht noch kam der eine, entscheidende Qualitätssprung in der Soundtechnik sehr plötzlich um 1980/81/82 herum. Das ist wohl ein Hauptgrund für das anhaltende 80s-Retro in den Charts und den Discos: Vieles, was ab 1982/83 aufgenommen wurde, kann heute prinzipiell techno/house-gesampelt oder auch im Original in normalen Discos gespielt werden, oder dass es soundtechnisch total aus dem Rahmen fällt. Viele 80er-Hits werden sozusagen niemals Oldies werden! Die heutigen Jugendlichen finden die 80s cool. Und uns hilft dieser Umstand, beim Hören unserer alten Lieblingssongs zu vergessen, das bereits ein verdammtes Vierteljahrhundert vergangen ist. :zahn:

Zu diesem soundtechnischen Durchbruch mach ich mal eine Thread im Musikforum ...
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Wolfmoon
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Ich vermisse vor allem meine Jugend (an mir ist heutzutage bestenfalls noch mein Leichtsinn jugendlich).

Die 80er haben viel gutes (Metal/Gothic/Pop Musik mit Niveau), aber auch viel Schrott (Bohlen/Stock/Aitken/Waterman/unsägliche Klamotten die ich schon damals nicht anziehen wollte/Vokuhila) gebracht.

Die Nostalgie hängt vor allem mit Jugend - Erinnerungen zusammen und wird (mir zumindest) auf 80er Parties auch gerne wieder ausgetrieben...:D
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