1983 - die Welt am Abgrund

Ob der wilde Süden oder der kühle Norden, hier trifft man sich zwischen den großen Treffen
Lutz
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Ich hab ja 1983 in diesem Forum mehrmals als mein Lieblingsjahr genannt. Mir war schon klar, dass es hier und da mal recht brenzlig wurde im Kalten Krieg, aber dass es *so* knapp war hätte ich nicht gedacht. Dass viele Szenarien in WarGames (1982!) keinesfalls übertrieben inszeniert wurden, sieht man ebenfalls in folgender Doku. OK, ich weiß - Guido Knopp und History - aber da hier wichtige Zeitzeugen selbst zu Wort kommen, halte ich die Dokumentation für erschreckend stimmig...

1983 - Welt am Abgrund - History - ZDFmediathek - ZDF Mediathek

Dem Herrn Petrow, der den Fehlalarm richtig als solchen einschätzte (WarGames, anyone?), und dafür später auch noch bestraft (!) wurde, sollte man IMO ein Denkmal setzen! Hätte er typisch deutsch gehandelt, 100pro nach Vorschrift, wäre es sicherlich nicht übertrieben anzunehmen, dass ich diese Zeilen hier eventuell nicht mehr schreiben könnte...

Dazu noch eine Doku:

[video=youtube;yxRY7J0Jqxg]http://www.youtube.com/watch?v=yxRY7J0Jqxg[/video]

Edit: 01:55 sieht man übrigens den Rathausmarkt in Hamburg...

Die Dokus geben das Feeling in den frühen 80s sehr gut wieder (vielleicht auch für diejenigen interessant, die das daaamals (TM) noch nicht so mitbekommen haben) - ich schau dann mal die 2. weiter...

Lutz
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Lutz
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Heftig - in der 2. Doku wird davon gesprochen, dass Petrow an dem Tag die Vertretung war. Hätte die normale Besetzung ähnlich besonnen reagiert, oder hätte es für die Zukunft bedeutet, dass Fallout 3 real geworden wäre, und nicht nur ein Computerspiel?

Auch interessant: In Doku #2 werden keine Ami-Kampfjets erwähnt, die vor dem Abschuss der Passagiermaschine die Russen provozierten und verunsicherten. Dadurch erscheint Reagans Ansprache danach wieder in etwas anderem Licht. Da würde ich gerne die Wahrheit wissen...

Lutz
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Babooshka
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In dem Zusammenhang möchte ich euch mal fragen: Hattet ihr damals Angst vorm 3. Weltkrieg? Wir in Berlin hatten ja den Feind gleich nebenan und ich weiß von vielen Leuten um mein Alter rum, dass sie damals Angst hatten, 1. vorm 3. Weltkrieg und 2. vor einer russischen Invasion in Berlin. Ich hatte auch Angst bzw. immer mal so ein dumpfes Gefühl, dass es bald zu Ende sein könnte. Andere wiederum, vor allem Ältere, sagen, nee, sie hatten überhaupt keine Angst. Die Elterngeneration hatte ja noch den 2. Weltkrieg erlebt und dachte sich, so blöd konnen die doch nicht sein und noch einen anzetteln.
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Sparks
Lutz
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Ich hatte so ein mulmiges Gefühl - aber ich habs 1983 wohl noch eher verdrängt. Ein paar Jahre später hab ich mich dann damit detaillierter beschäftigt. Ronald Reagan soll lt. Doku #1 übrigens der Film "The Day After" die Augen geöffnet haben...

Wenn ich nach Berlin fuhr, war die bedrückende Stimmung natürlich schon auf der Transitstrecke und beim Grenzübergang da - und später an der Mauer besonders greifbar.

Lutz
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timosend
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Damals hatte ich davon gar nichts mitbekommen, erst die Doku hat mir den Ernst er Lage vor Augen geführt. Dem russischen Soldaten Petrow gebührt der Friedensnobelpreis!
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Babooshka
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Ich seh schon, das wird mal wieder ein interessantes Thema hier! Ich interessiere mich derzeit für alles, was den Kalten Krieg angeht, wohl weil ich auf Facebook mit amerikanischen und französischen Alliierten, die damals da waren, (auch) darüber schreibe und es selbst miterlebt habe. Drum möchte ich immer gerne wissen, wie sich die Leute so um 1983 rum gefühlt haben. Die bedrückende Stimmung an der Grenze, ob das wohl viele Leute so erlebt haben, die nach/von Berlin gekommen sind? Wir Berliner hatten das ja als gegeben ingenommen. Hinnehmen müssen. Für uns war es ganz normal, da erst durch zu müssen, wenn wir in die Ferien fuhren. Mit zunehmendem Alter und zunehmender Reiseerfahrung ins Ausland machte mich das aber traurig und auch wütend. Ich begann, die Mauer richtig wahrzunehmen. Wir waren zwar in einer freien Welt, aber doch eingemauert.

Ja Lutz, 1983 war the best year of our life. Und doch wurden wir immer wieder damit konfrontiert: Es ist 5 vor 12. Es kann jeden Augenblick knallen und vorbei sein. Wie man rückblickend sieht, war es anscheinend wirklich sehr knapp. Und so tanzten wir, als gäbe es kein Morgen und weinten manchmal innerlich...

[video=dailymotion;xcuh2j]http://www.dailymotion.com/video/xcuh2j ... ic?fbc=711[/video]
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Lutz
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Ja, an das Ultravox Video musste ich auch denken, als ich den Thread startete. Nach Berlin zu fahren (zunächst über die rumpelige Transitstrecke, dann später über die Autobahn) hatte immer was von Abenteuerurlaub. Auch die erste Alleinfahrt mit dem Zug. Ich wusste übrigens schon irgendwie als Kind, dass ich nie zur Bundeswehr gehen werde, und auch das Warum war mir sehr früh klar. Kriegsangst muss bei mir unterschwellig dagewesen sein - aber meist total verdrängt. Für mich war der tolle Sommer 83 ja auch unvergesslich schön...

Das Schlimme: Hätte sich Petrow anno 1983 anders entschieden, hätte wir höchstens noch mitbekommen wie Karl-Heinz Köpcke eine Warnung über den Sender gibt "gehen sie in den nächsten Schutzraum" (wahrscheinlich noch nicht mal das). Es hätte keine Hintergründe, keinerlei Erklärungen gegeben (geben können). Heftig, oder?

Lutz
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Babooshka
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Ich glaube, es hat damals eine ganze Menge Kriegsdienstverweigerer gegeben. Viele von ihnen zogen deshalb ja auch erstmal nach Berlin. Die Friedensbewegung war ja auch sehr groß und aktiv. Selbst an der Schule haben wir mal eine Demo gemacht.

Ich kann die Leute gar nicht verstehen, die damals keine Angst hatten. Meine Mutter sagte auf meine Frage hin zuerst das mit dem "werden ja wohl nicht so dumm sein, noch einen Krieg anzuzetteln" und zweitens, dass sich ja hauptsächlich die USA und die UdssR bekriegt hätten und die Pershings ja wohl über uns hinweg geflogen wären. Aber selbst wenn - was hätte die radioaktive Strahlung von in der Sowjetunion runtergekommenen Pershings dann mit uns gemacht? Wir wissen ja noch nicht mal genau, was Tschernobyl (übrigens jetzt 26 Jahre her) für Auswirkungen auf uns hatte und eventuell noch haben wird. Ich erinnere mich heute noch gut an das Gefühl, als der Nato-Doppelbeschluss aktuell war und die beiden Supermächte Wettrüsten betrieben - für Millionen von Dollar. Und wir mussten das hilflos mit ansehen und konnten nichts dagegen tun - nur hoffen, dass die Menschen dennoch vernünftig bleiben. "Wenn's knallt, dann knallt es, da können wir nichts machen", mit bitterer Stimme ausgesprochen, diese Stimmung begleitete damals unsere Jugend. Erst als Gorbatschow dann in der Sowjetunion an die Macht kam, erlaubten wir uns ein leichtes Aufatmen.

Interessant war auch, wie die Musik diese Zeiten widerspiegelte. Zu Anfang der 80-er gab's ja viel schwermütige Musik, ich erinnere mich z. B. an ein deutsches Lied, in dem es immer "Endzeit, Endzeit" hieß. Und gegen Ende der 80-er trugen unsere jüngeren Geschwister Smiley-T-Shirts, tanzten zu Acid und kamen der Botschaft "throw your hands in the air" gerne nach... Dieter Rehnen hat das in seinem Buch "Die glorreichen 80-er" auch sehr gut erfasst.
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Heiko2609
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Durchaus interessantes Thema in der Retrospektive, wenn man noch etwas jünger ist als die jungen Leute die dann z.B zum Zivildienst gehen oder sich mit der Friedensbewegung identifizierten, dann kann das Thema für kurze Momente vielleicht beschäftigen, wird danach aber wieder verdrängt, weil dem Entwicklungsstand gemäßere Themen beherrschender sind. Pubertäre Ausnahmen gibt oder gab es sicher.

Da ich kürzlich in meinem ersten Posting hier nach längerer Zeit hier, etwas von einer Ferienfreizeit im Sommer 1985 im Bodenseeraum/Oberschwaben schrieb, fällt mir auch eine kleine Anekdote dazu ein.

Wir hatten jemand der so 15/16 war, aber für sein Alter eher zurück geblieben war und auf der anderen Seite eben auch besserwisserisch nerven konnte und deshalb mehr ein Außenseiter war.
Der bekannte mal das er die Nationalzeitung lese und gab noch ein paar tageserheiternde Statements in seinem Dialekt von sich.
So z. B auch: "Also wenn ich der Kohl wär, dann dät ich zu dem Reagan und dem Russ sagen(vermutlich Andropow oder Tschernenko, die wechselten da zu der Zeit, innerhalb kurzer Zeit.), wenn er der Krieg führet, dann führet ihn außerum(gemeint war um Deutschland bzw. Europa herum).

Mit vielleicht 12 oder 14 kann man so ein Thema in der Regel noch nicht so wirklich nah an sich ran lassen und da wirken solche ungewollt komische Statements eventuell unbewusst entlastend, auch wenn diese Blödsinn sind.

Kurzer Informationsnachtrag:
Die erwähnten Andropow und Tschernenko, waren zu dem Zeitpunkt bereits tot und jeweils nur kurze Zeit in ihren Ämtern.
Der neue Generalsekretär der KPdSU(und damit sowas wie eine Art Staatspräsident) war bereits seit März 1985 Michail Gorbatschow.
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Lutz
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[QUOTE=Babooshka;295163]Interessant war auch, wie die Musik diese Zeiten widerspiegelte. Zu Anfang der 80-er gab's ja viel schwermütige Musik, ich erinnere mich z. B. an ein deutsches Lied, in dem es immer "Endzeit, Endzeit" hieß. Und gegen Ende der 80-er trugen unsere jüngeren Geschwister Smiley-T-Shirts, tanzten zu Acid und kamen der Botschaft "throw your hands in the air" gerne nach... Dieter Rehnen hat das in seinem Buch "Die glorreichen 80-er" auch sehr gut erfasst.[/QUOTE]

Oh - muss ich mal lesen...

Interessant ist noch folgende Info von Stanislaw Petrow zum Computerfehler:

"Das, was für uns und den Computer haargenau wie Raktenstarts ausgesehen hatte, waren Reflexionen der Sonne in der Atmosphäre, eine Art Fata Morgana, die in das Objektiv des Satelliten hineinspiegelte. Wie wir heute wissen, kommt solch eine Reflexion nur in einer höchst seltenen Konstellation der beteiligten Himmelskörper vor. Noch unwahrscheinlicher ist, dass die Spiegelungen genau über einer Raketenbasis mit der erforderlichen Helligkeit auftraten"

Lutz
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